Krankenhausinfektionen in Deutschland
SPD Gesundheitsexperte Lauterbach spricht als erster Politiker zum Thema Krankenhaushygiene
in Deutschland Klartext - Das Interview finden sie hier
Unseren Kommentar mit wichtigen Ergänzungsvorschlägen finden Sie hier:
Nachdem in Deutschland jedes Jahr weiter viele Menschen vermeidbar durch Klinikkeime
umkommen oder durch nosokomiale Infektionen geschädigt werden spricht - als erster
deutscher Politiker - der SPD Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) Klartext und
benennt seine Sichtweise der Gründe für die insgesamt viel zu hohen Infektionszahlen
in Deutschland.
Viele Forderungen des Politikers werden seit Jahren sinngemäß auf unserer Webseite
formuliert. Angefangen bei der Forderung nach der Schaffung flächendeckend geeigneter,
unabhängiger Klinikkontrollen bis hin zur Notwendigkeit der Zurückdrängung des Klinik-Lobbyismus.
Völlig zutreffend weist Lauterbach auch auf die jahrelange Klientel-Politik der FDP
hin, deren Gesundheitsminister Bahr und Rösler - so scheint es - mehr die wirtschaftlichen
Interessen der Kliniken als die Sicherheit der Patienten auf dem Gebiet der Klinikhygiene
im Auge hatten.
Die Regierung sollte sich fachkundig und unabhängig beraten lassen, wenn sie das
Infektionsschutzgesetz nachschärfen und eine deutliche und messbare Reduzierung der
Infektionszahlen in Deutschland erreichen will. Sonst "wird das wieder nichts". Die
Neufassung und Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes war nicht hinreichend, weil
wichtige Schritte und Maßnahmen bis heute nicht gesetzlich vorgesehen sind.
Basierend auf unseren Erfahrungen im Rahmen der Vertretung von geschädigten Patienten
wären folgende Maßnahmen sinnvoll, wenn die aus unserer Sicht als Ziel einer "Hygiene-Offensive"
auszugebende Halbierung der Krankenhausinfektionen in Deutschland erreicht werden
soll:
1. Schaffung einer Bundesbehörde Klinikhygiene auf Bundesebene - finanziert von allen
Ländern und dem Bund - mit angeschlossener Task Force nach niederländischem Vorbild.
Die Einhaltung der Hygiene-Gesetze ist inzwischen und in Anbetracht der hohen Gefährlichkeit
der absoluten Zahlen und der individuellen Zunahme der Resistenzen verschiedener
Bakterienstämme ein überragend wichtiges Gemeingut. Elementar wäre eine hinreichende
Kompetenz dieser Behörde - angefangen bei unangemeldeten Besuchen über die Befugnis
zur Schließung von Stationen oder ganzen Krankenhäusern bei Verletzung wichtiger
oder beharrlicher Verweigerung der Umsetzung der Hygiene-Vorgaben.
2. Vereinheitlichung der Zuständigkeiten für die Hygiene-Aufsicht - Aufbereitung
sowie Sterilisation einerseits (RP) und allgemeine Klinik-Hygiene (Gesundheitsämter)
andererseits - Vertrauen ist gut, eine ausnahmslos effektive Kontrolle wirklich aller
Kliniken besser.
3. Schaffung eines neuen "Hygiene-TÜVs". Die "Plakette" erhalten nach einer unabhängigen
(!) und fachkundigen Überprüfung der einzelnen Klinik nur Häuser, die die "Basics"
der Klinikhygiene - die elementaren Vorschriften der Klinikhygiene - einhalten wie:
aktuelle, der KRINKO-Empfehlung entsprechende Hygienepläne, gesetzeskonforme Anzahl
an Hygiene-Fachkräften, Nachweisbare Mindeststandards an Schulungen, funktionierende
Hygiene-Kommission, korrekt geführte Statistiken, Validierungen nach Herstellervorgabe
usw. Diese neutrale Bestandsaufnahme der Hygiene-Realität in allen Kliniken in staatlich
gesteuerter und überwachter Form wäre wichtig. Bisher fehlen geeignete Informationsquellen
für Patienten meist. Die Qualitätsberichte halten wir für - in vielen Fällen - nicht
geeignet. Ergebnisse der "offiziellen" Bestandsaufnahme sollten deshalb veröffentlicht
werden, damit der mündige Patient sich informieren und notfalls reagieren kann. Wirtschaftliche
Anreize verbessern die Hygiene. Eine gute Hygiene ist ein Marketing-Instrument, vor
Kliniken mit gefahrenträchtiger Hygiene sind Patienten zu schützen.
4. Festschreibung eines nachgewiesen geeigneten und ehrlichen Erfassungssystems für
nosokomiale Infektionen in jeder Klinik - soweit noch nicht vorhanden. In den von
uns betriebenen Prozessen stellen wir immer wieder mal fest, dass es vereinzelt Infektionsstatistiken
gibt, die das Papier nicht wert sind. Niedrige Infektionszahlen, weit unterdurchschnittliche
Zahlen an resistenten Keimen. Wenn eine Klinik die Infektionsstatistik nicht oder
schlampig führt - die Augen schließt - und insbesondere die gesetzlich vorgesehene
Bewertung nicht vornimmt, müssen deutlichere Konsequenzen greifen. Wir kennen bisher
keinen einzigen Fall, der zur Verhängung eines - in der aktuellen Fassung des InfschG
vorgesehen - "Bußgeldes" geführt hat. Das Gesetz ist ein zahnloser Tiger.
5. Erstreckung der Meldepflicht für resistente und besonders gefährliche Keime auf
Besiedelungen und nicht nur Infektionen mit Nachweis über Liquor und Blut.
6. Benennung eines "Arztes für Antibiose und Mikrobiologie" nach niederländischem
Vorbild in jeder Klinik. Dieser Arzt kennt die Keimspektren seiner Region und Hygiene-Schwachpunkte
der Kliniken in seinem Verantwortungsbereich. Er steuert die Antibiose bei infektiösen
Patienten in Verbindung mit den jeweils individuellen Behandlern der einzelnen Fachrichtungen.
Damit ist er mit seinem spezialisierten, mikrobiologischen Wissen unmittelbar in
die Diagnostik und Behandlung der Patienten eingebunden. Die Anzahl der Sepsistoten
wird durch die daraus resultierende, frühere, gezielte Diagnostik und bereits initial
zutreffendere antibiotische Abdeckung bundesweit messbar sinken. In den von uns vertretenen
Fällen stellen wir immer wieder fest, dass der Ausbildungsstand im Bereich der Diagnostik
und antibiotischen Abdeckung infektiöser Geschehen dringend verbessert werden muss.
7. Schaffung von geeigneten Straftatbeständen, die zu Sanktionen für die Klinikleitung
und Verantwortliche führen können, wenn Infektionsstatistiken nicht oder grob fehlerhaft
geführt oder Häufungen von Infektionen der Aufsicht nicht gemeldet werden. Sanktionsbewehrt
sollten auch wichtige Verstöße gegen organisatorische Pflichten sein. Beispielweise
zu nennen ist die Vernachlässigung der Pflicht jeder Klinik, die Daten zu Art und
Umfang des Antibiotika-Verbrauches festzulegen und die für die Patientensicherheit
wichtige Bewertung durch Ärzte für Hygiene, Mikrobiologie und Behandlern vorzunehmen.
AAS - "Alibi-Antibiotic-Stewardship" - kann tödlich wirken.
8. Schaffung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft Krankenhaushygiene analog dem Vorbild
der Schwerpunktstaatsanwaltschaften in Wirtschaftsstrafsachen. Diese muss ausgestattet
werden mit juristisch und medizinisch besonders geschulten Staatsanwältinnen und
Staatsanwälten. Derzeit findet eine geeignetes Vorgehen verantwortlichen Klinikleitungen
gegenüber auch bei gravierender Verletzung von Hygiene-Vorgaben nicht immer statt.
Insbesondere nach einem Ausbruch darf nicht der "Bock zum Gärtner" gemacht werden,
sondern fachlich speziell geschulte Staatsanwaltschaften müssen das Heft - unabhängig
und unparteilich beraten - in die Hand nehmen. Unterlassungstatbestände gemäß § 24
II InfschG dürften heute bei Vorliegen nicht erkannt werden. Im Sinne der Kostenminimierung
werden nicht selten infektiologisch und krankenhaushygienisch meist nicht hinreichend
ausgebildete Rechtsmediziner mit der Überprüfung der Umsetzung der Hygiene-Gesetze
beauftragt.
9. Schaffung einer generellen Meldepflicht der Labore direkt der Aufsichtsbehörde
gegenüber für alle Problemkeime - keine Begrenzung auf Nachweis in Liquor oder Blut.
Sanktionsbewährung bei Verletzung der Meldepflicht. Nach aktueller Gesetzeslage stellt
es nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit dar, wenn ein Ausbruch von Infektionen mit
Problemkeimen in einer Klinik dem Gesundheitsamt verschwiegen wird. Die §§ 24 und
25 InfschG neuer Fassung wirken in keiner Weise. Diese Vorschriften lassen den unzureichenden
Willen des Gesetzgebers erkennen.
10. Sicherung eines einheitlichen, anerkannten Standards der Mikrobiologie, um Fehlerquellen
der Keim-Identifizierung insbesondere bei Problemkeimen zu minimieren. Residenzpflicht
für "Basis-Labors" in jeder Klinik, um die um sich greifende Dezentralisierung der
Labors im Sinne der Kostenreduzierung und die damit verbundene Verlagerung infektiologischen
know hows zu beenden. Verpflichtung zur Anschaffung und Anwendung von Schnelltestverfahren
im Sinne der Vermeidung initial falscher Antibiosen und des folgenden Selektionsdruckes.
RA Dr. jur. Burkhard Kirchhoff
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