Keimausbruch in Kiel - Viele Fragen und bisher wenig "Antworten"
Effektives Ausbruchsmanagement oder Schadensbegrenzung?
Unser erster Kommentar zum Fall Kiel:
Im Uniklinikum Kiel soll es nach diversen Medienberichten zu einem Ausbruch von Acinetobacter
Baumanii Bakterien von problematischer Resistenzlage gekommen sein. Inzwischen seien
- nach von uns nicht prüfbaren Medienberichten - fünf Patienten gestorben, weitere
Patienten sollen besiedelt oder infiziert sein.
Acinetobacter sind uns in den letzten Jahren - unabhängig vom Fall Kiel - im Rahmen
der Vertretung von geschädigten Patienten in den letzten mehr als 15 Jahren immer
wieder begegnet. Neben Infektionsfällen einzelner Patienten aus verschiedenen deutschen
Kliniken, erinnern wir uns an einen Fall aus Süddeutschland, bei dem es auf einer
Intensivstation zu einem Todesfall und einem weiteren Fall einer Infektion mit einem
Acinetobacter Baumanii Bakterium gekommen war. Der Leiter dieser Station wollte die
Station nach dem ersten Toten und einem weiter infizierten Patienten "sicherheitshalber"
sofort schließen und wandte sich an uns, weil er Konsequenzen der Leitung des Hauses
befürchtete. Der Arzt traf die Entscheidung für die umgehende Schließung, kein weiterer
Patient wurde geschädigt.
Der Fall Kiel:
Im Fall Kiel soll die "Meldung" dem Gesundheitsamt gegenüber Weihnachten 2014 - also
bereits vor einem Monat (!) - erfolgt sein, erst jetzt berichten die Medien und erst
jetzt scheinen "Teile" der Intensivstation geschlossen worden zu sein.
Ein Klinikleiter - Prof. Scholz - "erklärt", ob alleine die Vorerkrankungen oder
auch die multiresistenten Keime die Patienten getötet hätten, sei eine offene Frage.
Diese Frage ist bei Verdacht des Todes eines Patienten durch Keime immer offen, die
gewählte Formulierung könnte allerdings den Eindruck erwecken, eventuell habe der
Keim für den Tod der Patienten gar keine Rolle gespielt.
Ist dies beabsichtigt?
Wir werten diese - medizinisch zwar grundsätzlich zutreffende, in keiner Weise weiterführende
- Einschätzung als wenig hilfreich. Welche Patienten mit konkret welchen - für sich
betrachtet lebensbedrohlichen? - Leiden sind oder waren besiedelt oder infiziert?
Betroffenen Patienten, Angehörigen eventuell Verstorbener und der Öffentlichkeit
sollten konkretere Informationen - statt u. E medizinisch wenig gehaltvolle Versuche
der Entlastung - geliefert werden.
Die wichtigeren Fragen sollten konkret beantwortet werden:
Warum dauerte es - gerechnet von der Meldung dem Gesundheitsamt gegenüber (nicht
einmal vom noch früheren Zeitpunkt des Auftretens der ersten Infektion) - rund einen
Monat (!), bis die Öffentlichkeit - und damit auch Patienten - von dem mehrfachen
Auftreten des Keims und dem Verdacht der meldepflichtigen Häufung von Infektionen
erfahren hat?
Wann wurde die internistische Intensivstation für Neuaufnahmen geschlossen? Wer hat
dies wann angeregt? Wann wurde die Schließung durch wen diskutiert und entschieden?
Wurde die KRINKO-Empfehlung zu Ausbrüchen strikt umgesetzt? Ab wann und durch welche
Maßnahmen?
Wären der oder die Patienten auch ohne eine Infektion mit einem Problemkeim in dieser
Klinik und "auf diese Art" gestorben?
Wir erleben immer wieder und unabhängig vom Fall Kiel, dass bei Verdachtsfällen des
Todes durch eine nosokomiale Infektion sehr schnell die "Grundleiden" als mutmaßliche
Todesursache angeführt werden. Wir erachten dies den Angehörigen verstorbener Patienten
gegenüber generell für so unangemessen wie vorschnelle Schuldzuweisungen Kliniken
gegenüber. Die Kausalzusammenhänge müssen immer erst überprüft werden:
Grundsätzlich ist ein resistenter Keim in der Blutbahn eines Patienten immer eine
hoch gefährliche Situation. Zu klären ist, wie der Keim in die Blutbahn des Patienten
- bei Einhaltung der in Deutschland gesetzlich strengen Hygiene-Vorgaben - kommen
konnte und ob dies - zum Beispiel durch frühzeitigeres Schließen einer Station -
vermeidbar gewesen wäre. Stirbt der Patient, lautet die Frage nicht, ob der Patient
schwer krank war, Intensivpatienten sind häufig sehr geschwächt. Die Frage ist, ob
der fiktive Patient an diesem Tag durch eine Sepsis verstorben wäre, wenn er ein
ganz oder teilweise resistentes Bakterium nicht in der Blutbahn gehabt hätte.
Interessant ist im Fall Kiel, dass nach den Medienberichten scheinbar Mutmaßungen
angestellt werden, ein oder zwei Patienten - aus der Türkei und/oder Mallorca - könnten
den augenscheinlich resistenten Acinetobacter aus dem Mittelmeerraum mitgebracht
haben.
Sind die Patienten wieder schuld und haben das Bakterium mitgebracht? Auch diese
Vermutungen oder Argumente zur Herkunft von Keimen bei Ausbrüchen in Kliniken haben
wir schon mehrfach gehört.
Letztlich kommt es aus unserer Sicht auch auf den Aspekt der Herkunft des Keims nur
insoweit an, wie die Quelle gefunden und ausgeschaltet werden muss - falls noch nicht
geschehen. Entscheidend ist nicht, wer die in der nicht resistenten Variante ubiquitären
- überall vorkommenden - Keime mitbringt. Entscheidend für die Sicherheit von Patienten
ist, dass in Kliniken generell die Hygienebarrieren eingehalten werden und bei Auftreten
einer ersten Infektion, diese schnell erkannt, der Keim als Problemkeim entlarvt
und durch ein geeignetes Krisenmanagement - welches spätestens ab dem Zeitpunkt des
Verdachtes eines Ausbruches kompromisslos greifen muss - vermeidbarer Schaden für
andere Patienten tatsächlich vermieden wird.
Vor wenigen Wochen haben wir auf unserer Webseite den Fall Mannheim kommentiert.
Der Gesundheitsexperte der SPD Lauterbach forderte nach Mannheim neue Schritte zur
Eindämmung der insgesamt hohen Infektionszahlen in Deutschland, auf unserer Webseite
haben wir - mehrfach und seit Jahren - nach dem Lauterbach-Interview wieder die dringend
notwendigen Maßnahmen zur Reduzierung der hohen Anzahl an vermeidbaren Toten in Deutschland
beschrieben. Geschehen ist auf der Ebene der Politik - wieder nichts. Die deutsche
Politik schaut zu, obwohl in unserem Land weiter jedes Jahr tausende Menschen durch
Krankenhausinfektionen und verspätet diagnostizierte oder falsch behandelte septische
Geschehen versterben.
Zum Fall Kiel melden sich scheinbar sogenannte "Patientenschützer" zu Wort und werfen
vor, man habe die Patienten nicht gescreent. Dieser Vorwurf ist wenig sinnhaft, denn
Kliniken müssen nach aktueller Rechtslage nicht alle Patienten screenen sondern nach
den inzwischen mit Gesetzesrang ausgestatteten Empfehlungen der Kommission Krankenhaushygiene
beim Robert-Koch Institut nur Risikopatienten. Was sollen solche Hinweise? Sie lassen
aus unserer Sicht unzureichende Kenntnis der Materie der Krankenhausinfektionen und
Infektionsprävention erkennen. Wir sind seit Jahren für die Einführung einer generellen
Screening-Pflicht, die es aktuell de jure nicht gibt.
Kiel verfügt im Übrigen über eine zentrale, interne Krankenhaushygiene unter Leitung
der renommierten, anerkannten Expertin Dr. Bärbel Christiansen.
Wir gehen deshalb zunächst davon aus, dass die Meldewege nach dem neuen Infektionsschutzgesetz
und der Landes-Verordnung in Kiel eingehalten sind. Gleichwohl verstehen wir nicht,
warum diese gesetzlich vorgeschriebene "Selbstverständlichkeit" betont wird. Meldewege
sind nicht mehr als verwaltungsrechtliche Formalien.
Entscheidend ist in Kliniken immer die Umsetzung der KRINO-Empfehlungen und - bei
Auftreten oder Verdacht eines Ausbruches - das Krisenmanagement. Zuständige Hygieniker
sind insoweit immer auf die Mitwirkung der Klinikleitung angewiesen. Deshalb hat
das neue Infektionsschutzgesetz auch generell die Klinikleitungen in die Pflicht
genommen. Ein Hygieniker in einer Klinik kann nur die Maßnahmen umsetzen, die personell
und strukturell machbar sind.
Nach einem Ausbruch in einer Klinik oder Verdachts-Todesfällen muss aus unserer Sicht
immer der organisatorische Standard - die Umsetzung der KRINKO-Empfehlungen und der
Landes-Verordnungen - in den relevanten Zeiträumen konkret und unabhängig überprüft
werden.
Wir hoffen, dass die sicherlich von Einflüssen der Politik unabhängige Staatsanwaltschaft
in Kiel frühzeitig das Heft in die Hand nimmt und nicht von der Klinik selbst eingesetzten
"Kommissionen" die Klärung der relevanten, sehr speziellen medizinischen, tatsächlichen
und rechtlichen Aspekte überlässt. Das aus unserer Sicht erste umfassende Gutachten
von fachlicher Tiefe auf dem Gebiet der Krankenhaushygiene und Infektionsausbrüche
in Deutschland hat Prof. Dr. Popp - Uni Essen - zum Fall der toten Frühchen in Bremen
vorgelegt.
Das zuständige Ministerium sollte - schon jetzt - eine objektive und von den Interessen
des Klinikums und jedweden politischen Interessen unabhängige (!) Kommission Wahrheitsfindung
nach niederländischem Vorbild einsetzen.
Wir werden den Verlauf in Kiel beobachten und weiter kommentieren.
RA Dr. jur. Burkhard Kirchhoff
Patientenanwalt
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